Offener Brief der Freiburger Kantstiftung an die Bundeskanzlerin anlässlich der gemeinsamen deutsch-israelischen Kabinettssitzung in Berlin


Quelle: http://nattvandare.blogspot.com/2010/01/offener-brief-die-bundeskanzlerin.html



Dienstag, 19. Januar 2010

Offener Brief an die Bundeskanzlerin anlässlich der gemeinsamen
deutsch-israelischen Kabinettssitzung in Berlin

Freiburger Kantstiftung („Europas Erbe als Auftrag“)

Frau Bundeskanzlerin
Angela Merkel
Bundeskanzleramt
Willy-Brandt-Straße 1
10557 BERLIN
(vorab als Mail und Fax an das Bundespresseamt)

Sölden/Freiburg, den 16. Jan. 2010

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

Sehr geehrte Mitglieder des Bundeskabinetts,

Als Vorstand der Freiburger Kant-Stiftung („Europas Erbe als Auftrag“) erlaube ich mir, Ihnen und Ihren Ministerinnen und Ministern unser großes Erstaunen und Befremden über das Verständnis Ihrer Amts- und Repräsentationspflichten jenen Menschen gegenüber auszudrücken, die Sie gewählt haben und denen, „nach bestem Wissen und Gewissen“ zu dienen, Sie sich per Amtseid verpflichtet haben.

Ich beziehe mich hier auf die für den 18. Januar 2010 geplante gemeinsame deutsch-israelische Kabinettssitzung in Berlin. Da Ihnen bzw. Ihrem Kabinett sowohl der Bericht des vom UN-Menschenrechtsrat beauftragten, international anerkannten Richters Richard Goldstone bekannt sein dürfte, als auch die Tatsache, dass Israel mit der Ghettoisierung von Gaza und der Fortsetzung der Siedlungspolitik in den besetzten palästinensischen Gebieten fortwährend aus einer Position militärischer Stärke und zionistisch-machiavellistischem Fundamentalismus die internationalen Menschenrechtskonventionen missachtet, können wir nicht glauben, dass ein deutsches Regierungskabinett (dessen tragende Parteien sich ja in besonderer Weise christlichen bzw. rechtsstaatlich-liberalen Grundwerten verpflichtet sehen), sich wider besseres Wissen zu einer geradezu perversen Symbolpolitik bekennt.

Es muss also andere Hintergründe geben, zu deren Offenlegung wir Sie dadurch ermutigen wollen, dass wir Sie und Ihre Regierung auffordern, der zurückgehaltenen Wahrheit durch entsprechende Vorsorgemaßnahmen wirklich Rechnung zu tragen.

Wie z. B. der israelische Bürger Prof. Jeff Halper, Träger des Kant-Weltbürger-Preises 2009 in seiner Preisrede und in zahlreichen Publikationen wiederholt verdeutlicht hat, arbeiten die den Staat Israel regierenden Kräfte – z. T. verdeckt, z. T. ausdrücklich – mit großer Effizienz daran, eine „Zwei-Staaten-Lösung“ zur Befriedung des israelisch-palästinensischen Konfliktes unmöglich zu machen. Andere Nahost-Experten, wie z. B. die langjährige Nahostkorrespondentin der ARD, Bettina Marx, fürchten, dass die Welt sich darauf einstellen muss, das Undenkbare zu denken, angesichts einer demographischen Entwicklung und einer israelischen Politik, die jede zukunftsfähige, an Bildung und Selbstbestimmung orientierte palästinensische Entwicklung blockiert bzw. ausschließt und damit die Lunte an ein Pulverfass legt. Denn Israel kann als Apartheidstaat, der über einige palästinensische Bantustans herrscht, nicht überleben.

Nur die deutsche Verantwortung im Hinblick auf Vorsorgemaßnahmen, für einen solchen Fall einer zionistischen Selbstzerstörung des Staates Israel, kann eine gemeinsame deutsch-israelische Kabinettsitzung zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt plausibel machen und legitimieren. (Ansonsten müssten Konsequenzen aus dem Goldstone-Report, sowie echter Siedlungsstopp und eine Änderung der israelischen Politik auf der Tagesordnung stehen!)

Auch wenn es in der Vergangenheit CDU-Politiker gab, die sich für ähnliche Kooperationen mit dem Pinochet- oder dem Apartheid-Regime von Südafrika stark gemacht haben, können wir uns nicht vorstellen, dass 20 Jahre nach der Wiedervereinigung eine Bundeskanzlerin aus Deutschlands Osten ihre Lektionen aus der Geschichte so schlecht gelernt haben sollte, dass sie unsere wichtigsten politischen Prinzipien auf dem Altar der Wiederauflage einer politischen „Nibelungentreue“ zu opfern bereit wäre.

Deshalb fordern wir Sie auf, sich offen dazu zu bekennen, dass es in der bevorstehenden Kabinettssitzung bereits auch um Repatriierungsmaßnahmen für jüdische Bürger Israels mit deutschen bzw. europäischen Wurzeln geht.

Wir fordern Sie und Ihr Kabinett weiterhin dazu auf, sich mit der israelischen Regierung über eine doppelte Staatsbürgerschaft für all jene israelischen Bürger zu verständigen, die – die Zeichen der Zeit erkennend und die israelische Siedlungspolitik verurteilend- rechtzeitig Ausschau nach einer neuen (alten) Heimat halten, weil sie sich zu den europäischen und UN- Menschenrechtskonventionen bekennen und in ihrem eigenen Land kein Gehör mehr finden.

Ebenso wie für die europäische Integration kann es auch für Deutschland und Israel und ihre besonderen Beziehungen nur auf der Basis der Einhaltung dieser o. g. Konventionen eine gedeihliche Zukunft für uns alle geben.

Wie Avraham Burg, ehemaliger Sprecher der Knesset und Vorsitzender der Jewish Agency, es bezüglich der Altlasten unserer Geschichte mit dem Titel seines jüngsten Buches eindringlich postulierte: „Für unsere beiden Länder im Speziellen gilt auf durchaus unterschiedlichen Ebenen noch immer die moralisch-politisch bisher mangelhaft und eher verbal gelöste Aufgabe:„Hitler (zu) besiegen!“

Wir appellieren an Sie und die deutsche Bundesregierung, im Sinne der unserem Grundgesetz zugrunde liegenden ethischen und rechtlichen Prinzipien Immanuel Kants diese Aufgabe ernst zu nehmen, statt die unselige Hypothek aus jenen Jahren mit reflexhaften Maßnahmen einer Politik der Verdrängung und Komplizenschaft fortzuschreiben!

Mit vorzüglicher Hochachtung

Berthold Lange
(Vorstand)

Quelle: der Autor

Originalartikel veröffentlicht am 18.1.2010

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